Das Grenzgebiet im Herzen der Schweiz
Der Napf liegt mitten in der Schweiz, und doch so weit weg. Obwohl seit über 200 Jahren ein beliebtes Ausflugsziel, erreicht man das breite Gipfelplateau, auf dem die Regionen Emmental, Entlebuch, Oberaargau und Luzerner Hinterland zusammenfinden, nach wie vor nur durch Muskelkraft. Der Napf ist ein Grenzgebiet im Herzen der Schweiz. Hier treffen nicht nur vier Regionen aufeinander, sondern auch zwei Kantone mit unterschiedlichen Konfessionen. Und nicht zuletzt verläuft hier die Jasskartengrenze. Auf der Berner Seite wird mit französischen Karten gespielt, auf der Luzerner Seite mit Deutschweizer Karten.
Der Napf liegt 1406 Meter über Meer. Das weiss jedes Schulkind aus einem der vielen Dörfer, die sich in einem Kreis mit einem Durchmesser von 25 Kilometern rund um seine Ausläufer platziert haben. 1406 Meter über Meer ist nicht gerade hoch für einen Schweizer „Berg“. Dennoch ist der Aufstieg streng, sei es zu Fuss oder mit dem Bike. Und trotz des wenig markanten Gipfels ist die 360-Grad-Aussicht grossartig. Der Napf ist der höchste Punkt der Region, von ihm geht es in alle Richtungen kilometerweise fast nur bergab, mal sanft, mal sehr stotzig. In den steilen Flanken und Wänden der Täler, die sich mit Hilfe des Wassers über Millionen von Jahren in die Nagelfluh und den Sandstein eingegraben haben, wähnt man sich zum Teil denn auch tatsächlich in alpinem Gelände.

Auch wer mit dem Bike unterwegs ist, muss sich seine Routenwahl genau überlegen. Dank einer breiten – wenn zum Teil auch sehr steilen und groben – Alpstrasse ist der Napf seit dem Beginn des Mountainbikesports in der Schweiz ein beliebtes Ziel, sowohl von der Entlebucher, der Hinterländer als auch der Emmentaler Seite her. Noch heute fahren die meisten Bikerinnen und Biker auf dem gleichen breiten Weg wieder bergab, auf dem sie sich hochgekämpft haben. Doch der Napf ist auch eine echte Perle für alle, die technische Singletrail-Abfahrten lieben. Die schmalen, wurzeldurchsetzten Trails sind zum Teil aber schwer zu finden, wenn man nicht genau weiss, wo der Einstieg ist.

Eine schöne, ausschliesslich auf ausgeschilderten Wanderwegen verlaufende Tour für alle mit einer soliden Technik und viel Ausdauer, die ihr Bike auch gerne mal schieben, verläuft via Ahorn, Höchänzi, Napf und Champechnubel in einem steten Auf und Ab der Höhe und damit der Kantonsgrenze entlang. Danach folgt die Abfahrt via Gmeinwärch und Schüpferegg hinunter ins Entlebuch. Bei guter Sicht sieht man fast während der ganzen Tour die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau vor sich. Und im Vordergrund die sich fast endlos fortsetzenden Eggen und Gräben des Napfgebiets.
Einen grossen Bogen macht man am Besten um die offizielle Schweiz-Mobil-Route „Napf Bike“. Was diese mit Mountainbiken zu tun hat, sei dahingestellt. Die Route führt in drei Etappen von Bern nach Luzern und hat auf einer Gesamtlänge von 140 Kilometern gerade mal drei (3!) Kilometer Singletrail-Anteil. Zwei Drittel der Strecke führen über Asphalt, und das sehr häufig auch bergab. Auf den Napf führt die Route übrigens – dem Namen zum Trotz – nicht. Zum Glück gibt es sehr viele Alternativen. Solange man sich im Kanton Luzern als Mountainbiker abseits von befestigten Wegen aber im legalen Graubereich bewegt, bleiben diese zum grossen Teil Insidertipps. Es lohnt sich also durchaus, mit einem Guide unterwegs zu sein. Die Bikeschule Willisau hilft gerne weiter.

Der Napf, die „Rigi des Hinterlands“
Auch wenn das Napfgebiet auch heute noch als wilde, zum Teil aus der Zeit gefallene Gegend erscheint – der Napf ist seit über 200 Jahren ein bekanntes Ausflugsziel. Bereits im 18. Jahrhundert wanderten die ersten «Ausflügler» auf den Napf, als die Begeisterung für die Schweizer Alpen erwachte und die Berge zum Ziel der ersten Touristen wurden. Bald schon wurden Tipps für auswärtige Wanderer veröffentlicht, die meist der gehobeneren Schicht angehörten. So schrieb 1830 Jakob Schweizer, der Pfarrer von Trub: «Da einstweilen noch keine Wirthschaft auf dem Napf ist, wiewohl der Senn die Gäste mit Milch, Kaffe, Käse und Butter bedienen darf, so ist es den Reisegesellschaften anzurathen, sich im Dorfe Trub oder Trubschachen das Bedürfende an Wein, Brot usw. anzukaufen und nachtragen zu lassen.»
Aber auch Einheimische wanderten auf den Hausberg. 1822 begleitet der blinde Luthertaler Jakob Birrer den Vikar von Luthern, den Pfarrer von Menznau sowie dessen Haushälterin und Magd auf den Napf, wie er in seinen Lebensbeschreibungen später erzählte. Ihr Ziel: Sie wollten im «Gaden» der Sennhütte übernachten und dann den Sonnenaufgang erleben. Doch: Die Sennhütte war zu dieser Jahreszeit bereits verlassen, der Senn eine Alp tiefer gezogen. Da es schon zu spät war, um umzukehren, brachen sie in die Hütte ein. Nur daraus, sich wie erhofft «bei fetter Milch, bei Butter und Käse recht gütlich zu tun», wurde nichts. So mussten sie dann zwar etwas hungern – der Sonnenaufgang war dann aber, glaubt man Birrers Worten, das Leiden wert.
Auch im berühmten, internationalen Reiseführer Baedeker wurde der Napf 1856 seiner prächtigen Aussicht wegen gerühmt.






1883 wird das Hotel Napf eröffnet
Die 1880er-Jahre gehörten zur Glanzzeit des Tourismus in der Schweiz. Die touristische Infrastruktur wuchs. An schwer zugänglichen Orten wurden Bergbahnen gebaut, an landschaftlich reizvollen Orten Hotels erstellt. Das Naturerlebnis wurde mit Aussichtspunkten, Spazierwegen, Parks und Quais aufgewertet. Auch auf dem Napf wurde in dieser Zeit gebaut. Im Mai 1883 wurde das «Kurhaus», das heutige Berghotel, eröffnet. Der Willisauer «Anzeiger» schrieb damals:
«Es mag für unsere Leser von Interesse sein zu vernehmen, dass nächsten Sonntag das neue Hotel auf dem Napf eröffnet wird. Wenn – was zu hoffen ist – die prächtige Maiwitterung anhält, so dürfte der Hinterländer Rigi zahlreichen Besuch erwarten. Bei dem Anlasse mag erwähnt werden, dass auch diesen Sommer wieder ein kleines Turnfest und Schwinget auf dem Napf stattfinden soll, hauptsächlich von Turnvereinen aus dem Kanton Bern veranlasst.»
Wie Vergleiche mit alten Postkarten zeigen, hat sich das Hotel äusserlich seither kaum verändert. Und auch der Tourismus auf den Napf ist sich erstaunlich ähnlich geblieben. Zwar gibt es kaum noch Leute, die mehrere Tage im dortigen Hotel als Kurgäste verweilen. Aber noch immer ist der Napf als Ausflugsziel beliebt – und noch immer sind Wanderwege der einzige Weg nach oben.
Dass sich das nicht geändert hat, ist auch dem Zufall zu verdanken. 1891 wurde beim Bund ein Projekt für eine Eisenbahn von Trubschachen auf den Napf eingereicht. Der Bundesrat erteilte die Konzession – doch die Idee scheiterte am Geld. Auch eine Strasse über den Napf war ein grosses Thema. 1937 unterschrieben in Willisau nach einer Volksversammlung 700 Personen eine Resolution für den Bau einer Napfstrasse. Doch wie wir wissen: auch daraus wurde nichts.
So gibt es auch heute noch nichts anderes, als durch eigene Kraft auf den „Hinterländer Rigi“ zu gelangen. Was ja auch nicht das Schlechteste ist.
Ein Teil dieses Textes erschien bereits am 17. Juli 2012 im Willisauer Boten im Rahmen der Sommerserie «Zeitreise».
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